1929 – 1945: Von Karstadt zum Statistischen Reichsamt
Das Gebäude zwischen der Keibelstraße, der heutigen Bernhard-Weiß-Straße 6 (früher: Neue Königstraße bzw. Hans-Beimler-Straße) und der Wadzeckstraße wurde 1929 als Hauptverwaltungsgebäude des Warenhauskonzerns Karstadt gebaut. Nachdem sich der Konzern 1931 in einer finanziellen Krise befand und die Dimensionen des Gebäudes viel zu groß für seine Bedürfnisse waren, verkaufte er 1934 das Gebäude an das Reichsfinanzministerium. Etwas später zog das Statistische Reichsamt in die Büros. Von nun an hieß es unter der Herrschaft der Nationalsozialist*innen „Reichshaus“.
Das Statistische Reichsamt erstellte hier bis 1945 Volkszählungen. So wurden zum Beispiel die Zahlen der jüdischen Bevölkerung erhoben, aber auch, wie viele Männer im Deutschen Reich für den Kriegsdienst tauglich waren oder wie viele Menschen für die Arbeit in der Kriegsindustrie benötigt wurden.
Im Statistischen Reichsamt arbeiteten etwa 5.000 Personen, davon rund 200 Wissenschaftler*innen. Mit ihrer akribischen Arbeit lieferten sie die bürokratische Voraussetzung für die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.
1944 wurde das Gebäude durch Bombenangriffe stark beschädigt, doch das Statistische Reichsamt arbeitete noch bis zum Ende des Krieges am 8. Mai 1945 weiter.
1945 – 1950: Die ersten Jahre nach dem Krieg
1947 wurde begonnen, den Gebäudekomplex aufzuräumen und die Trümmer des Krieges zu beseitigen. 1948 wurde das Polizeipräsidium des westlichen Teil Berlins zuerst in der Kreuzberger Friesenstraße und dann in Tempelhof angesiedelt und das Polizeipräsidium Ost in dem Gebäudekomplex entlang der Neuen Königstraße (später Hans-Beimler-Straße). 1950 wurde die Ost-Berliner Polizei in „Deutsche Volkspolizei“ (kurz: DVP) umbenannt.
1951 – 1990: Die Untersuchungshaftanstalt Keibelstraße
Im Oktober 1951 wurde im Gebäude des Präsidiums der Volkspolizei das Untersuchungsgefängnis eröffnet. Abgekürzt hieß die Haftanstalt UHA Berlin-Mitte und wurde später in UHA II umbenannt. Unter dem Namen Keibelstraße war sie auch in der Bevölkerung der DDR bekannt und gefürchtet. Sie war die einzige UHA in Ost-Berlin, in der auch Frauen inhaftiert wurden. Im Präsidium und in der UHA waren auch offizielle und inoffizielle Mitarbeiter*innen des Ministeriums für Staatssicherheit tätig. Die Untersuchungshäftlinge warteten hier auf ihren Gerichtsprozess und wurden für Verhöre unter anderem in das Polizeipräsidium geholt. Für die Prozesse wurden sie von der UHA Keibelstraße zu den verschiedenen Stadtbezirksgerichten transportiert. Nach einem Hafturteil kamen sie in den regulären Strafvollzug bzw. wurden bei einem Freispruch entlassen.
In der UHA Keibelstraße saßen vor allem Untersuchungshäftlinge ein, oft nur für einige Stunden, manchmal aber auch über mehrere Tage oder sogar für einige Monate. Außerdem waren bereits verurteilte Strafgefangene inhaftiert, die mitunter nur zeitweise in die UHA Keibelstraße verlegt wurden oder nur kurze Strafen abzusitzen hatten. Die Vergehen, die den Gefangenen vorgehalten wurden, umfassten alle in der DDR für kriminell gehaltenen Bereiche. Viele Inhaftierte waren nach dem DDR-Strafrecht als „Asoziale“ oder wegen „Rowdytum“ und „Republikflucht“ angeklagt. Andere weil sie ihren Dienst in der Nationalen Volksarmee nicht antraten. Die meisten Gefangenen saßen wegen Eigentumsdelikten wie Diebstahl oder Betrug ein, seltener wegen Schwerverbrechen. Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung kamen bis zu ihrer Abschiebung in den „Ausländergewahrsam“ in der UHA Keibelstraße. Außerdem wurden hier Menschen festgehalten, die nach West-Berlin „ausgeschleust“ werden sollten. Ende der 1970er-Jahre verfügte die UHA Keibelstraße über 209 Haftplätze, tatsächlich war die Anzahl der Inhaftierten aber meist deutlich höher.
Die Insass*innen wurden vielfach zwischen mehreren Ost-Berliner Untersuchungs- und Haftanstalten hin und her verlegt. Dazu gehörten unter anderem die Haftanstalten Rummelsburg, Barnimstraße und die Stadtvogtei oder die Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit in Pankow, Lichtenberg (Magdalenenstraße) und in Hohenschönhausen.
Gefangene mit kürzeren Haftstrafen verbrachten mitunter ihre gesamte Haftzeit in der UHA Keibelstraße. Dort wurden sie in verschiedenen Arbeitskommandos eingesetzt. Die Untersuchungshäftlinge arbeiteten freiwillig und erhielten, wie die Strafgefangenen, einen geringen Arbeitslohn.
Die UHA Keibelstraße bestand mit dem Keller aus neun Etagen. Darüber verteilten sich vom Erdgeschoss bis unter das Dach die Stationen 0 bis 7 mit den Zellen. Ende der 1970er-Jahre gab es insgesamt 131 Zellen.
1990 – 1996: Nachnutzung als Filmkulisse und Polizeigewahrsam
Nach der Schließung der Untersuchungshaftanstalt im Sommer 1990 wurde das ehemalige Hafthaus als Filmkulisse genutzt, wie etwa für „Männerpension“ (D 1996), „Halbtot – Half Past Dead“ (D/USA 2002) und „Das Leben der Anderen“ (D 2006). Außerdem wurden mehrere Musikvideos aufgenommen. Für die Dreharbeiten wurden bis in das vierte Obergeschoss nahezu alle Wände großflächig dunkel angestrichen. Außerdem wurden Zellentüren, Schlösser und Einrichtungsgegenstände abgebaut und ausgetauscht.
Von 1992 bis 1996 wurde die sechste Etage der ehemaligen UHA Keibelstraße als Polizei- und Abschiebegewahrsam genutzt. Dazu wurde dieses Stockwerk mit einer Zwischendecke vom übrigen Hafthaus getrennt und die Innenausstattung modernisiert. Dieses Geschoss bot sich für eine Weiternutzung an, da es durch einen Übergang mit dem angrenzenden Polizeigebäude verbunden waren. Nach 1996 wurde der Gewahrsam nur noch in Ausnahmefällen von der Polizei genutzt, beispielsweise für die kurzzeitige Unterbringung bei Verhören.